Transparenz mit Nebenwirkungen: Belasten Berichtspflichten kleine Unternehmen zu stark?

Transparenz wird oft als Kennzeichen verantwortungsbewussten unternehmerischen Handelns angesehen. Regulierungsbehörden setzen daher häufig verpflichtende Berichterstattung ein, um die Transparenz in Unternehmen zu verbessern. Eine kürzlich von Joachim Gassen und Maximilian Muhn durchgeführte Feldstudie, die im Journal of Accounting Research veröffentlicht wurde, zeigt jedoch, dass die Auswirkungen der Offenlegung von Finanzdaten für viele kleine Unternehmen komplexer sind als oft angenommen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Offenlegungsvorschriften für sie unbeabsichtigt mehr Kosten als Nutzen mit sich bringen können, was die Frage aufwirft, ob flexiblere, freiwillige Systeme die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit besser unterstützen würden.
Kleine und mittelgroße Unternehmen spielen eine zentrale Rolle in modernen Volkswirtschaften: Sie schaffen Arbeitsplätze, beeinflussen Investitionsströme und fördern den Wettbewerb. Aufgrund dieser Bedeutung verlangen Aufsichtsbehörden in vielen Ländern, insbesondere in der Europäischen Union, dass sie Jahresabschlüsse erstellen und veröffentlichen. In der EU müssen selbst „Kleinstunternehmen“ Jahresabschlüsse erstellen und einreichen. Die Einhaltung dieser Vorschrift wird streng kontrolliert, und die Berichte werden über Unternehmensregister und Informationsanbieter veröffentlicht.
Transparentes Handeln, also die Veröffentlichung von Jahresabschlüssen, kann sich zwar positiv auf das Geschäft auswirken, doch stellt sich die Frage, ob diese Offenlegungsvorschriften kleinen Unternehmen tatsächlich helfen oder ihnen unnötige Belastungen auferlegen. Legen Unternehmen Wert auf Transparenz oder versuchen sie, diese nach Möglichkeit zu vermeiden? Und sind sich die betroffenen Unternehmen überhaupt ihrer Rechte und Pflichten in Bezug auf die Offenlegung bewusst?
Ein Feldexperiment mit mehr als 25.000 deutschen Unternehmen
Anfang der 2010er Jahre beschlossen die politischen Entscheidungsträger der EU, die Offenlegungspflichten für sehr kleine Unternehmen zu lockern. In Deutschland bietet diese Reform kleineren Unternehmen seit 2012 die Möglichkeit, den öffentlichen Zugang zu ihren Jahresabschlüssen zu beschränken. Wir haben auf dieser politischen Änderung aufgebaut und eine große Gruppe von mehr als 25.000 deutschen Unternehmen nach dem Zufallsprinzip über ihre Möglichkeit informiert, die Offenlegung ihrer Jahresabschlüsse einzuschränken. Außerdem haben wir die Mitteilung von Informationen an verschiedene Interessengruppen (wie Wettbewerber, Kapitalgeber oder Kunden) angepasst, um zu sehen, wie sich die Interessen dieser Gruppen auf das Offenlegungsverhalten der Unternehmen auswirken.
Informierte Unternehmen entschieden sich zu 15 Prozent häufiger gegen eine Offenlegung
Die Studie ergab, dass Unternehmen, die sich der Möglichkeit einer Einschränkung bewusst waren, mit einer um 15 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit ihre Finanzberichte zurückhielten. Dieser Effekt war am stärksten bei kleineren, etablierten Unternehmen in weniger kapitalintensiven Branchen zu beobachten – also bei Unternehmen, die im Allgemeinen wenig Vorteil darin sehen, sensible Informationen öffentlich zu machen. Auffällig war auch, dass viele dieser Unternehmen den Zugang auch in den folgenden Jahren weiterhin einschränkten, was zeigt, dass ein einmaliger Anstoß langfristige Auswirkungen haben kann.
Sobald Unternehmen über ihre Optionen Bescheid wissen, ändern sie ihr Offenlegungsverhalten
Ein Grund für diesen starken Effekt ist, dass viele Unternehmen einfach nicht wussten, dass sie die Möglichkeit hatten, ihre Offenlegung einzuschränken. Sobald sie darüber informiert wurden, haben sie ihre Strategien schnell neu bewertet. Dies deutet darauf hin, dass private Unternehmen oft nicht mit perfekten Informationen arbeiten und mit spürbare Umsetzungskosten konfrontiert sein können.
Umfrageergebnisse zeigten auch, dass viele Unternehmen die Anforderungen zur Offenlegung als Belastung empfinden, wobei die wahrgenommenen Kosten die Vorteile überwiegen. Auch dies ist besonders ausgeprägt bei sehr kleinen Unternehmen.
Um zu testen, ob die Reduzierung der Offenlegungspflichten den Unternehmen tatsächlich hilft, haben wir die Ergebnisse über das Berichtsverhalten hinaus verfolgt. Unternehmen in der Versuchsgruppe, die über die Möglichkeit der Einschränkung informiert wurden, hatten eine um 2,7 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, auch Jahre später noch zu existieren, verglichen mit einer Basisüberlebensrate von 73,2 Prozent (gemessen daran, dass noch eine aktive Website vorhanden ist). Diese suggestiven Hinweise deutet auf moderate, aber bedeutende langfristige Vorteile einer Lockerung der Berichtspflichten hin.
Konkurrenten und Datenschutzfragen beeinflussen Umgang von Unternehmen mit Transparenz
Offenlegungsvorschriften stellen für private Unternehmen einen Kompromiss dar. Einerseits verringert Transparenz Informationslücken zwischen Unternehmen und potenziellen Partnern wie Investoren oder Kunden. Andererseits werden sensible Details gegenüber Konkurrenten oder nicht an Transaktionen beteiligten Parteien offengelegt, was dem Unternehmen potenziell schaden kann.
Unsere Studie zeigt, dass Unternehmen vor allem wegen des Wettbewerbs und aus Datenschutzgründen besorgt sind. Unternehmen, denen mitgeteilt wurde, dass Wettbewerber ihre Finanzberichte nutzen könnten, neigten viel eher dazu, den öffentlichen Zugang zu beschränken. Dies unterstreicht, wie stark der Wettbewerbsdruck die Entscheidungen zur Offenlegung beeinflusst. Gleichzeitig können auch andere Außenstehende, wie etwa die breite Öffentlichkeit, diese Entscheidungen beeinflussen, wenn Unternehmen den Eindruck haben, dass die Kosten der Offenlegung die Vorteile überwiegen.
Warum kleine Unternehmen maßgeschneiderte Berichterstattungsvorschriften benötigen
Diese Erkenntnisse werfen wichtige Fragen für politische Entscheidungsträger auf:
- Man kann nicht von perfekten Informationen ausgehen. Viele Unternehmen sind sich ihrer Offenlegungsmöglichkeiten nicht bewusst, und diese Unkenntnis wirkt sich direkt auf ihr Verhalten aus.
- Einheitliche Vorschriften funktionieren nicht. Eine Offenlegungspflicht kann für kleine Privatunternehmen oft unbeabsichtigt mehr Kosten als Nutzen mit sich bringen.
- Die Regulierung sollte die Interessen der verschiedenen Gruppen sorgfältig ausbalancieren. Zwar profitieren Investoren und Gläubiger von Transparenz, aber auch Wettbewerber profitieren davon, manchmal auf Kosten des Unternehmens.
In der Praxis bedeutet dies, dass die Regulierungsbehörden in Erwägung ziehen sollten, die Anforderungen an die Bedürfnisse der verschiedenen Interessengruppen anzupassen. In den USA beispielsweise sind private Unternehmen nicht zur Offenlegung von Finanzberichten verpflichtet, und nur sehr wenige entscheiden sich für eine freiwillige Veröffentlichung. Die Regulierungsbehörden in Europa sollten überprüfen, ob die Offenlegungspflicht für die kleinsten Unternehmen wirklich gerechtfertigt ist oder ob ein flexibleres, freiwilliges System das Unternehmertum und die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit besser unterstützen könnte.
Diesen Blog zitieren: Gassen, J., & Muhn, M. (2025). Transparenz mit Nebenwirkungen: Belasten Berichtspflichten kleine Unternehmen zu stark? TRR 266 Accounting for Transparency Blog. https://www.accounting-for-transparency.de/de/berichtspflichten-kleine-unternehmen/
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