Steuerliche Fehlwahrnehmungen – ein weit verbreitetes Phänomen bei der individuellen und unternehmerischen Entscheidungsfindung

Steuern sind ein wichtiger Faktor, wenn es um finanzielle Entscheidungen wie Investitionen, Sparanlagen oder Finanzierung geht. Dies gilt für Entscheidungen von Privatpersonen wie auch für Entscheidungen in Unternehmen. Es ist daher wichtig, dass sich die Personen, die solche Entscheidungen treffen, über die tatsächliche Steuerbelastung im Klaren sind, da Fehleinschätzungen zu falschen Entscheidungen und unerwünschten Steuerplanungsaktivitäten führen können. Eine umfassende Literaturauswertung durch das Forscherteam zeigt, dass die tatsächliche Höhe der Steuerbelastung zumeist falsch eingeschätzt wird und Entscheidungen dadurch beeinflusst werden. Das Team entwickelte daraufhin das Behavioral Taxpayer Response Model, um die Treiber von steuerlichen Fehlwahrnehmungen und die Folgen für das Entscheidungsverhalten zu erklären.

 

Im Gegensatz zu der in den meisten Studien vorherrschenden Annahme, dass Entscheider die steuerlichen Gegebenheiten kennen, sind steuerliche Fehlwahrnehmungen sowohl auf individueller als auch auf Unternehmensebene weit verbreitet. Beispielsweise können weniger als die Hälfte, nach manchen Studien sogar nur 10% der individuellen Steuerzahler, ihre eigene Einkommensteuerbelastung oder die anderer Einkommensklassen annähernd korrekt angeben. Selbst Manager von börsennotierten Kapitalgesellschaften treffen ihre Entscheidungen teils auf der Basis falscher Steuersätze, wenn sie etwa effektive Durchschnittsteuersätze statt Grenzsteuersätze verwenden.

 

Auswirkungen von steuerlichen Fehleinschätzungen auf die Entscheidungsfindung

Steuerliche Fehlwahrnehmungen resultieren sowohl aus mangelndem Steuerwissen als auch aus einer ungenügenden Verarbeitung von Steuerinformationen im Rahmen der Entscheidungsfindung. Bei der Untersuchung individueller Steuerzahler zeigt sich, dass diese die ihnen zugänglichen Informationen über Steuersätze und die steuerliche Behandlung eines Sachverhalts häufig falsch interpretieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Steuerkomplexität hoch und die Sichtbarkeit der Steuern gering ist. Mangelndes Steuerwissen oder ungenügende Verarbeitung der vorhandenen Informationen zum Steuerrecht resultieren in einer subjektiven Wahrnehmung der (zu erwartenden) Steuerbelastung, die von der objektiven Steuerbelastung oftmals deutlich abweicht und daher zu einer verzerrten Entscheidung führen kann.

Studien, die die Wirkung von Steuerfehlwahrnehmungen auf Unternehmensebene untersuchen, sind deutlich seltener, kommen aber zu ähnlichen Ergebnissen. Sie zeigen, dass selbst Fachleute unter steuerlichen Fehlwahrnehmungen leiden und daher beispielsweise verzerrte Investitions- und Finanzierungsentscheidungen treffen.

 

Management von Steuerwahrnehmung und ihre Auswirkungen auf Stakeholder

Die von uns analysierten Literaturbeiträge deuten zudem darauf hin, dass Unternehmen die Wahrnehmung der Unternehmenssteuerbelastung, beispielsweise durch Investoren oder die Öffentlichkeit, bewusst zu beeinflussen versuchen. Studien liefern Hinweise darauf, dass sie dies tun, indem sie entweder negative Steuerinformationen weniger oft oder weniger sichtbar berichten. Es zeigt sich aber auch, dass sie bestimmte Steuerinformationen auch ohne Berichtspflicht freiwillig bereitstellen, um negative Kapitalmarktreaktionen im Fall fehlender Steuerinformationen abzumildern. Darüber hinaus gibt es Evidenz dafür, dass vor allem größere Unternehmen höhere Steuerbelastungen ausweisen, um mit diesem Signal den politischen Prozess zu beeinflussen.

 

Einflussfaktoren von steuerlichen Fehlwahrnehmungen: Behavioral Taxpayer Response Model

Um die steuerlichen Fehlwahrnehmungen auf individueller und unternehmerischer Ebene besser analysieren zu können, haben wir das Behavioral Taxpayer Response Model entwickelt. Es zeigt, dass Steuerfehlwahrnehmungen durch spezifische individuelle Eigenschaften (z. B. Bildung, Steuerkenntnisse und Einstellung zu Steuern), Merkmale des steuerlichen Umfelds (z. B. Steuerkomplexität und die Bereitstellung steuerlicher Informationen) und Faktoren im Entscheidungsumfeld (z. B. Wettbewerb und zeitliche Restriktionen) beeinflusst werden. Darüber hinaus haben die Verfügbarkeit und Nutzung von steuerlicher Beratung (z. B. durch Steuerberater, Arbeitgeber oder Steuerbehörden) einen Einfluss darauf, ob steuerliche Fehleinschätzungen zu Entscheidungsfehlern führen oder nicht.

 

Auswirkungen und weitere Schritte

Unser Behavioral Taxpayer Response Model kann dazu beitragen, besser zu identifizieren, wie steuerliche Fehlwahrnehmungen entstehen und wie sie die Entscheidungsfindung beeinflussen. Damit trägt das Modell dazu bei, Ansatzpunkte für die Vermeidung unerwünschter steuerlicher Verzerrungen zu identifizieren. Die Ergebnisse geben damit nicht nur Orientierung für Steuerpolitiker, sondern bieten zudem eine Basis für die Entwicklung eines umfassenden Forschungsprogramms zum tieferen Verständnis von steuerlichen Fehlwahrnehmungen und deren Entscheidungswirkungen insbesondere im unternehmerischen Bereich. Dies gilt sowohl für Unternehmen unterschiedicher Rechtsform, Größe und Branchen als auch für Fehlwahrnehmungn bei Unternehmensmanagern mit unterschiedlichem Aufgabenfeld und Profil sowie bei Steuerberatern und anderen Intermediären. Dabei sollte die künftige Forschung zu Fehlwahrnehmungen und deren Folgen vermehrt auch große Unternehmen mit professionellem Steuermanagement in den Fokus nehmen, da in diesem Bereich bisher nur wenige Beiträge existieren und die Forschungslücke daher besonders groß ist.

 

Lesen Sie das vollständige Papier „Tax Misperception and its Effects on Decision Making – Literature Review and Behavioral Taxpayer Response Model“ von Kay Blaufus, Malte Chirvi, Hans-Peter Huber, Ralf Maiterth und Caren Sureth-Sloane im European Accounting Review.

 

Zitation dieses Blogs:

Blaufus, K., Chirvi, M., Huber, H., Maiterth, R., & Sureth-Sloane, C. (2021, Januar 20). Steuerliche Fehlwahrnehmungen – ein weit verbreitetes Phänomen bei der individuellen und unternehmerischen Entscheidungsfindung, TRR 266 Accounting for Transparency Blog. https://www.accounting-for-transparency.de/de/steuerliche-fehlwahrnehmungen-ein-weit-verbreitetes-phaenomen-bei-der-individuellen-und-unternehmerischen-entscheidungsfindung/

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