Dezember 2021: Prof. Dr. Regina Ortmann

Regina Ortmann, Juniorprofessorin für International Business Taxation an der Universität Paderborn, leitet zusammen mit Dirk Simons das Projekt B06 “Transparency and Transfer Prices“. Gemeinsam untersuchen sie, wie mehr Transparenz bei Transferpreisen unternehmerische Entscheidungen über Investitionen, Produktion und Berichterstattung und Prüfstrategien von Steuerbehörden, beeinflusst.

 

Analytische Steuerforschung: ein Blick in die Zukunft

Während ein Großteil der Steuerwissenschaftler empirisch arbeitet, habe ich mich damals ganz bewusst für die analytische Steuerforschung entschieden. Initialzündung für meine Entscheidung war ein Steuermodell, das ich in einer Vorlesung kennengelernt hatte. Ich war total fasziniert – und auch heute begeistert es mich immer noch, wie zuverlässig man durch ein geschickt aufgestelltes Modell Vorhersagen treffen kann. Etwa darüber, wie Unternehmen zum Beispiel auf eine neue Steuerreform reagieren. Oder zumindest reagieren sollten. Denn in unseren Modellen gehen wir in der Regel vom Homo Oeconomicus aus, also einem ausschließlich rational denkenden Menschen. In der Realität ist das aber natürlich selten der Fall. Denn Handlungen werden immer auch durch Gefühle, Emotionen und äußere Umstände beeinflusst. Dennoch erlauben uns Modelle, Wirkungen und Handlungen zu antizipieren und Vorhersagen zu treffen. Wenn man so will, gewährt uns die analytische Steuerforschung einen Blick in die Zukunft. Und damit kann sie wichtige Anhaltspunkte für Regulierer und die Politik liefern – etwa, wenn es darum geht, über Steuerreformen zu entscheiden.

Mit unserer Transparenzforschung im TRR 266 können wir einen wichtigen Beitrag zu einer gerechteren Verteilung von steuerlichen Mitteln leisten.

Mehr Transparenz, gerechtere Besteuerung?

Und genau das ist für mich auch ein ganz wichtiger Aspekt. Denn ich möchte Forschung nicht nur um ihrer selbst willen betreiben, ich möchte etwas bewirken. Mit unserer Transparenzforschung im TRR 266 können wir einen wichtigen Beitrag zu einer gerechteren Verteilung von steuerlichen Mitteln leisten – davon bin ich überzeugt. Gerade in den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, dass viele multinationale Konzerne wie Google oder Apple ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer transferieren, um Steuern zu vermeiden. Das führt zu gesellschaftlichen Missstimmungen und zu einem großen Ungleichgewicht – mit direkten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen. Verschiedene OECD- und EU-Initiativen gehen dieses Problem an, indem sie auf mehr Transparenz setzen. Konsequenz dieser Initiativen sind Regularien, die Unternehmen verpflichten bestimmte Informationen offenzulegen. Wir untersuchen in einem Transferpreiskontext, wie dieses Mehr an Transparenz wirkt – ob es zu den gewünschten Effekten oder zu nicht intendierten Nebenwirkungen führt.

Um die Wirksamkeit einer Reform abschätzen zu können, muss man die Reaktionen der multinationalen Unternehmen auf eine Änderung des Besteuerungssystems antizipieren.

Transferpreise im Fokus

Ein von Unternehmen gern genutztes Vehikel, um Gewinne aus Hoch- in Niedrigsteuerländer zu transferieren, sind die sogenannten Transferpreise. Preise, die für den internen Handel von Gütern, Dienstleistungen und für die Nutzung von intellektuellem Eigentum innerhalb eines Konzerns gezahlt werden. Dieser konzerninterne Handel macht rund 70-80 Prozent des gesamten globalen Handelsaufkommens aus. Zwar geben bestimmte Gesetze und Richtlinien vor, wie diese Preise anzusetzen sind – dennoch sind Transferpreise sehr anfällig für Steuergestaltungen. Daher untersuchen wir im TRR 266-Projekt B06, wie sich der Umgang mit Transferpreisen verändert, wenn das Unternehmen bestimmte Informationen offenlegen muss. Etwa Informationen, die dabei helfen, abzuschätzen, wie viel wirtschaftliche Substanz wirklich in den Konzernunternehmen steckt und welcher Anteil am Konzerngewinn demzufolge auf die einzelnen Unternehmen entfallen sollte. Wir untersuchen vor diesem Hintergrund, wie sich dieses Mehr an Transparenz auf generelle unternehmerische Entscheidungen auswirkt, etwa auf Sales- und Standortentscheidungen. Um die Wirksamkeit einer Reform abschätzen zu können, muss man die Reaktionen der multinationalen Unternehmen auf eine Änderung des Besteuerungssystems antizipieren.

Steuerpolitiker sollten diese Erkenntnisse bei der Entwicklung von Pillar One der Global Tax Reform berücksichtigen.

Globale Steuerreform der OECD: Wirkungen und Effekte

In unserem neuen Working Paper haben wir uns diese Fragen mit Blick auf die neue globale Steuerreform der OECD gestellt, die im Juli 2021 in mehr als 130 Staaten verabschiedet wurde. Ziel der Reform ist es, sicherzustellen, dass große multinationale Unternehmen – ganz gleich, wo sie tätig sind – einen gerechten Beitrag zum Steueraufkommen der Sitzstaaten leisten. Zu diesem Zweck soll den Ländern unter anderem ein gewisser Anteil des Steuersubstrats danach zugewiesen werden, wie viele Umsätze im jeweiligen Land generiert wurden. Unser Modell zeigt, dass die Auswirkungen dieser Reform vor allem von den Eigenschaften der unterschiedlichen Produktmärkte abhängen. Für traditionelle Industrien erhöht die Reform die Steuereinnahmen in Hochsteuerländern und – was bemerkenswert ist – sie zieht sogar Produktion an. Bei modernen digitalen Geschäftsmodellen können sogar auch die Steuereinnahmen in den Niedrigsteuerländern steigen. Steuerpolitiker sollten diese Erkenntnisse bei der Entwicklung von Pillar One der Global Tax Reform berücksichtigen.

Wir untersuchen den Einfluss von Country-by-Country Reporting (CbCR) auf den Umgang mit Transferpreisen, auf unternehmerische Entscheidungen und das Verhalten von Finanzbehörden.

Country-by-Country Reporting: Wirkungen und Effekte

In einem anderen Projekt untersuchen wir den Einfluss von Country-by-Country Reporting (CbCR) auf den Umgang mit Transferpreisen, auf unternehmerische Entscheidungen und das Verhalten von Finanzbehörden. Das CbCR wurde in Deutschland und in vielen weiteren OECD-Ländern 2016 eingeführt. Unternehmen müssen seitdem deutlich mehr Informationen gegenüber Finanzbehörden offenlegen. Informationen, die relevant sind, um abzuschätzen, ob Transferpreise in angemessener Art und Weise gesetzt werden oder ob sie manipuliert werden, um Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verlagern. Mit Blick auf ein Public Country-by-Country-Reporting, das demnächst in der EU eingeführt werden soll, planen wir ein Folgeprojekt. Beim Public CbCR werden die Informationen, die derzeit nur für Finanzbehörden zugänglich sind, öffentlich gemacht. Das ist natürlich ein Riesenschritt. Welche Reputations- oder Wettbewerbsfolgen das für Unternehmen haben könnte, wird gerade breit diskutiert – vieles ist denkbar. Ein sehr spannendes Thema, das wir gerne auf Basis der Disclosure Theory näher beleuchten würden.

Der TRR 266 eröffnet viele neue Möglichkeiten – für die Forschung und für die eigene Entwicklung.

TRR 266: breite Vernetzung und neue Möglichkeiten

Ohne den TRR 266 wäre unser Forschungsprojekt in der Form vielleicht nie zustande gekommen. Zumindest das Projektteam wäre vermutlich ein anderes gewesen. Das ist eine große Stärke des TRR 266: Er bringt Forschende von unterschiedlichen Standorten und mit unterschiedlichen Schwerpunkten zusammen. Er eröffnet damit viele neue Möglichkeiten – für die Forschung und für die eigene Entwicklung. Ich selbst profitiere von dieser breiten Vernetzung und den „kurzen Wegen“ unheimlich. Es gibt viele ausgewiesene Experten im TRR 266, die ich einfach ansprechen kann, wenn ich Input oder Feedback benötige. Regelmäßig finden zudem interne Events statt. Dort können wir uns intensiv über unsere Forschungsprojekte austauschen. Auf diese Weise nehme ich immer wieder wichtige Impulse für meine eigene Forschung mit. Besonders wertvoll finde ich auch, dass mich der TRR 266 mit anderen jungen Forschenden zusammenbringt, die so wie ich analytische Forschung betreiben. Denn von uns gibt es in Deutschland relativ wenige. Daher haben wir diese Gelegenheit auch gleich genutzt und eine Analytical Reading Group gegründet. Wir treffen uns nun einmal im Monat und lesen und diskutieren gemeinsam analytische Papiere.

Forschungsaufenthalte an anderen Universitäten oder in anderen Ländern kann ich nur empfehlen. Man nimmt unheimlich viel mit – für sich selbst und die eigene Forschung.

Forschungsaufenthalte: als Forscher wachsen

Für eine andere wichtige Station in meinem Leben war unser Forschungsverbund ebenfalls entscheidend: Der TRR 266 hat mir einen Forschungsaufenthalt in Stanford ermöglicht. Eine absolute Ausnahmeuniversität und eine großartige Gelegenheit, um als Forscher zu wachsen. Ich erinnere mich noch, wie ich meine Forschung in einem Seminar vorgestellt habe. Im Auditorium saßen so viele hochkarätige Wissenschaftler – mit ihrem Feedback konnten sie mir auf Anhieb helfen, meine Forschung um einiges zu verbessern. Selbst bei einer internationalen Konferenz referiert man meist nicht vor so einem Publikum. Zumindest nicht als Nachwuchswissenschaftler. Forschungsaufenthalte an anderen Universitäten oder in anderen Ländern kann ich nur empfehlen. Man nimmt unheimlich viel mit – für sich selbst und die eigene Forschung. Auch mein Aufenthalt an der NHH Bergen hat meine Forschung unheimlich vorangebracht, da dort viel analytische Steuerforschung betrieben wird. In der Zeit ist außerdem ein gemeinsames Projekt mit Dirk Schindler zu Transferpreisen entstanden. In gewisser Weise war das der Ausgangspunkt für die Forschung, die ich jetzt im Rahmen des TRR 266 betreibe.

 

 

*Die im Beitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung des Forschenden wieder und entsprechen nicht grundsätzlich der Meinung des TRR 266. Als Wissenschaftsverbund ist der TRR 266 sowohl der Meinungsfreiheit als auch der politischen Neutralität verpflichtet.

**In diesem Beitrag wird ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit teilweise auf die geschlechtsspezifische Schreibweise verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Researcher of the Month November

Beteiligte Institutionen

Die Hauptstandorte vom TRR 266 sind die Universität Paderborn (Sprecherhochschule), die HU Berlin und die Universität Mannheim. Alle drei Standorte sind seit vielen Jahren Zentren für Rechnungswesen- und Steuerforschung. Hinzu kommen Wissenschaftler der LMU München, der Frankfurt School of Finance and Management, der Goethe-Universität Frankfurt, der Universität zu Köln und der Leibniz Universität Hannover, die die gleiche Forschungsagenda verfolgen.

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