März 2021: Prof. Dr. Anna Rohlfing-Bastian

Anna Rohlfing-Bastian, Professorin für Rechnungswesen, insbesondere Management Accounting an der Goethe-Universität Frankfurt, ist Projektleiterin des Teilprojekts A04 „Accounting for Investments in Operating Assets“. Zusammen mit Stefan Reichelstein untersucht sie, wie Accounting-Informationen eine transparente Entscheidungsgrundlage für betriebliche Investitionen schaffen können. Neben ihrer Forschung macht sie sich für die Gleichstellung von Frauen und Männern in Forschung und Lehre stark.

 

Management Accounting:  vielseitig und anwendungsbezogen

Für welche Karrierewege wir uns entscheiden, hat häufig mit Zufällen zu tun. Mit Menschen, denen wir begegnen. Mit Situationen, die wir erleben. Oder mit Fragen, die uns gestellt werden – wie in meinem Fall: „Inwiefern ist die Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin eine Controlling-Funktion?“ Diese Frage stellte mir Christian Hofmann – heute einer meiner TRR 266-Kollegen – in einer mündlichen BWL-Prüfung an der Uni Tübingen. Während ich darauf antwortete, wurde mir etwas Wichtiges bewusst:  Management Accounting bzw. Controlling hat unglaublich viele Schnittstellen zu anderen Disziplinen und ist auf ganz viele Lebensbereiche anwendbar. Das hat mich damals unglaublich fasziniert – und das tut es heute immer noch. Insbesondere die hohe Relevanz für Politik und Praxis ist unglaublich spannend. Obwohl wir in der modelltheoretischen Forschung viel abstrahieren, sind unserer Konzepte sehr anwendungsbezogen. Meist können wir konkrete Handlungsempfehlungen für Unternehmen, Politiker*innen und Regulierer*innen ableiten. Auf diese Weise kommen wir natürlich auch mit anderen leichter über unsere Forschungsergebnisse ins Gespräch. Die Diskussionen, die daraus entstehen, können wiederum Input für neue Forschungsfragen liefern.

Mit unserer Forschung können wir zum Wohlstand der Gesellschaft und zu mehr Verteilungsgerechtigkeit beitragen.

Ein Beitrag für die Gesellschaft

Für mich ist Forschung kein Selbstzweck. Ich möchte damit einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. So wie vermutlich die meisten Wissenschaftler*innen – egal aus welchem Fachgebiet. Bei Mediziner*innen, die an einem Mittel gegen Demenz forschen, ist für die meisten relativ eindeutig, worin dieser Beitrag besteht. Bei der BWL sieht das schon anders aus. Für Außenstehende ist das häufig erklärungsbedürftig – obwohl der Beitrag genauso konkret sein kann. Wir können zum Beispiel mit unseren Forschungsergebnissen dazu beitragen, dass ein Demenz-Medikament überhaupt auf den Markt kommt. Etwa indem wir dabei helfen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die einem Unternehmen überhaupt erst die Anreize geben, ein solches Mittel zu entwickeln und zu produzieren.

Mit unserer Forschung können wir insgesamt zum Wohlstand der Gesellschaft und auch zu mehr Verteilungsgerechtigkeit beitragen. Gerade im Accounting haben wir außerdem einen besonderen Auftrag, Transparenz zu schaffen. Denn Accounting ist ja so etwas wie die Sprache des Unternehmens. Eine Sprache, die Manager*innen verwenden, um die finanziellen und wirtschaftlichen Informationen des Unternehmens zu kommunizieren – intern und gegenüber Aktionär*innen und Kreditgeber*innen. Sie muss sorgfältig, genau und verständlich sein. Dazu können wir beitragen, indem wir beispielsweise identifizieren, welche Informationen relevant sind und in welcher Form sie kommuniziert werden sollten, um für unterschiedliche Akteure größtmögliche Transparenz zu schaffen.

Unser Ziel ist es, dass auch Unternehmen mit komplexeren Strukturen unser Modell in der Praxis anwenden und für konkrete Investitionsentscheidungen nutzen können.

Neues Modell für zuverlässige Investitionsentscheidungen

Im TRR 266-Projekt A04 untersuchen wir, welche Informationen aus ökonomischer Sicht relevant sind, um Entscheidungen über langfristige Investitionen zu treffen. Entscheidungen also, die weit in die Zukunft hineinwirken. Ihr Erfolg hängt somit entscheidend davon ab, wie sich entscheidungsrelevante wirtschaftliche Gegebenheiten entwickeln. Da zukünftige Gegebenheiten in der Regel allerdings nur vorausgeschätzt werden können, sind Investitionsentscheidungen mit Unsicherheit verbunden. Mit den sogenannten Levelized Product Costs haben wir ein Modell entwickelt, mit dem es möglich ist, langfristige Investitionsentscheidungen auf Grundlage von Informationen aus dem Rechnungswesen zu treffen.

Derzeit arbeiten wir daran, diesen Ansatz zu validieren und zu erweitern. Denn unser Modell bildet aktuell noch ein sehr einfaches Szenario ab: ein Produkt, ein Markt, ein Entscheider, ein Land, ein Steuersatz. Wir möchten das Modell gerne auf mehrere Produkte und Entscheidungsträger ausweiten – sowie auf multinationale Unternehmen, die in mehreren Ländern und in unterschiedlichen Steuersystemen tätig sind. Denn unser Ziel ist es, dass auch Unternehmen mit komplexeren Strukturen unser Modell in der Praxis anwenden und für konkrete Investitionsentscheidungen nutzen können.

In unserer Studie zeigen wir, wie Unternehmen ihre Mitarbeiter*innen motivieren können, sich für Projekte mit unsicherer Produktivität einzusetzen.

Anreize setzen: Projekte mit unsicherer Produktivität

Im vergangenen Jahr haben wir das Paper „Incentives in optimally sized teams for projects with uncertain returns” veröffentlicht. Im Prinzip eine Art Vorarbeit zu unserem aktuellen Vorhaben, auf die wir aufbauen können. In dieser Arbeit ging es ebenfalls um Unsicherheit. Und darum, sich Unternehmen möglichst detailliert anzuschauen – um ein Modell zu entwickeln, das die komplexe Unternehmenswirklichkeit gut abbilden kann.

In der Studie untersuchen wir im Rahmen eines theoretischen Modells, wie Anreizstrukturen und organisatorische Maßnahmen ausgestaltet sein sollten, wenn unklar ist, in welchem Maße sich die tatsächlich geleistete Arbeit im Erfolg eines Projektes niederschlägt. Das ist zum Beispiel in Entwicklungsabteilungen in Unternehmen der Fall, etwa im Pharmabereich. Die Mitarbeiter*innen können sich nicht sicher sein, wie sich ihre Anstrengungen für die Entwicklung eines Medikaments in finanziellen Erfolg übersetzen lassen.  Ähnliches gilt für Beschäftigte, die beispielsweise digitale Transformationsprozesse in Unternehmen vorantreiben.

In unserer Studie zeigen wir, wie Unternehmen ihre Mitarbeiter*innen motivieren können, sich für Projekte mit unsicherer Produktivität einzusetzen. Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass Vergütungsstrukturen und organisatorische Entscheidungen bei Projekten mit unsicherer Produktivität ganz anders ausfallen müssen, als bislang angenommen. Wir zeigen zum Beispiel, dass die Teamgröße kleiner sein sollte, wenn die Unsicherheit der Produktivität zunimmt. Und, dass Teamgröße und Vergütungen aneinandergekoppelt werden müssen, um effiziente Anreize zu setzen.

Von einer Gleichstellung der Geschlechter können nicht nur Frauen profitieren, sondern das Wissenschaftssystem insgesamt.

Mehr Frauen für die Wissenschaft

Neben meiner Forschung setze ich mich im TRR 266 auch für den weiblichen Forschungsnachwuchs ein. Insbesondere in den Wirtschaftswissenschaften ist der Frauenanteil noch immer viel zu gering. Bei den Studienanfänger*innen sind wir zwar mittlerweile bei einem Verhältnis von 50:50 angekommen, für Doktorandenstellen oder Professuren gilt das allerdings nicht. Je weiter man die akademische Karriereleiter hinaufblickt, desto weiter klafft die Schere auseinander. Und das hat nichts mit fachlicher Eignung zu tun, sondern ist historisch gewachsen. Überholte Rollenbilder prägen noch immer viele Lebensentwürfe. Auch die Umstände, die eine wissenschaftliche Karriere mit sich bringt, sind entscheidend. Dieser Karriereweg ist immer noch mit einer großen Unsicherheit verbunden und kollidiert zum Beispiel häufig mit der Familienplanung. Ich möchte dabei helfen, diese Bedingungen zu verbessern und überkommene Strukturen aufzubrechen. Damit wir zu einem natürlichen Gleichgewicht gelangen. Von einer Gleichstellung der Geschlechter können nicht nur Frauen profitieren, sondern das Wissenschaftssystem insgesamt. Denn Studien zeigen, dass gemischt-geschlechtliche Teams deutlich produktiver sind als reine Männer- oder Frauenteams.

Netzwerke und Rollenvorbilder

Für unseren weiblichen Forschungsnachwuchs habe ich im TRR 266 daher ein Mentoring-Programm entwickelt. Postdocs und Doktorandinnen tauschen sich im Tandem mit erfahrenen Professorinnen persönlich aus. Dabei erhalten sie wichtige Informationen aus erster Hand. Etwa: Was muss ich in einem Berufungsverfahren beachten? Und sie profitieren von unseren Netzwerken. Ein wichtiger Ansatz. Denn fehlende Netzwerke und Rollenvorbilder, fehlender Austausch – das sind ebenfalls zentrale Faktoren, die eine Karriere von Frauen in der Wissenschaft aktuell noch erschweren. Sie erzeugen eine Informationsasymmetrie, die Frauen benachteiligt. Solche Maßnahmen können allerdings nur die Bedingungen flankieren, die Universitäten und die Politik schaffen – die hier zentral in der Verantwortung sind. Die Tenure-Track-Verfahren, die den Zugang zu einer Lebenszeitprofessur erleichtern, sind dabei ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

 

 

Die im Beitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung des Forschenden wieder und entsprechen nicht grundsätzlich der Meinung des TRR 266. Als Wissenschaftsverbund ist der TRR 266 sowohl der Meinungsfreiheit als auch der politischen Neutralität verpflichtet.  

Researcher of the Month February

Beteiligte Institutionen

Die Hauptstandorte vom TRR 266 sind die Universität Paderborn (Sprecherhochschule), die HU Berlin und die Universität Mannheim. Alle drei Standorte sind seit vielen Jahren Zentren für Rechnungswesen- und Steuerforschung. Hinzu kommen Wissenschaftler der LMU München, der Frankfurt School of Finance and Management, der Goethe-Universität Frankfurt, der Universität zu Köln und der Leibniz Universität Hannover, die die gleiche Forschungsagenda verfolgen.

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