April 2021: Prof. Dr. Ralf Maiterth

Ralf Maiterth, Professor für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Humboldt-Universität zu Berlin, ist Projektleiter des TRR 266-Projekts B08 „Tax Burden Transparency“. Zusammen mit Caren Sureth-Sloane untersucht er, wie transparent die Steuerlast für Privatpersonen, Unternehmen, Regulierungsbehörden und Politiker ist – und welchen Einfluss steuerliche Fehlwahrnehmungen auf Entscheidungen haben.

 

Steuerlehre: dynamisch und vielschichtig

Meine Faszination für die Steuerforschung habe ich bereits ganz früh im Studium entdeckt. Liebe auf den ersten Blick – wenn man so will. Das Feld ist unheimlich dynamisch und vielschichtig – und es betrifft alle möglichen Institutionen und Personen. Das finde ich total spannend. Es macht einfach Spaß, die Funktionsweise von Steuern und deren Wirkungen zu untersuchen. Denn Steuersysteme sind komplex und Steuerwirkungen alles andere als offensichtlich. Immer wieder stößt man auf etwas Neues, Unerwartetes. Auf diese Weise ergeben sich regelmäßig neue spannende Forschungsfragen und Gelegenheiten, gängige Fehlannahmen zu korrigieren. Oder aufzuzeigen, warum Lösungen und Ansätze, die auf den ersten Blick vielversprechend erscheinen, doch nicht funktionieren. Das stärkt letztlich auch das eigene Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, nichts als gegeben hinzunehmen und alles immer wieder zu hinterfragen. Diese Botschaft gebe ich auch meinen Studenten gerne mit auf den Weg.

Schon das Steuersystem an sich ist äußerst dynamisch und liefert ständig neuen Input.

Zwischen Effizienz und Gerechtigkeit

Schon das Steuersystem an sich ist äußerst dynamisch und liefert ständig neuen Input. Dies geschieht durch neue Regulierungen und Steuerreformen – aber auch durch das besondere Spannungsfeld, in dem sich die Besteuerung bewegt: zwischen Effizienz und Gerechtigkeit. Aus Effizienzgründen beispielsweise sollte der Einkommensteuertarif möglichst proportional sein; es sollte also ein identischer Steuersatz für alle Einkommensklassen gelten. Aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten hingegen spricht einiges für eine progressive Einkommensteuer, also einen höheren Steuersatz auf höhere Einkommen. Hier gilt es, die richtige Balance zu finden. Das Schöne daran ist, dass es nicht die eine richtige Lösung gibt – wie in der Mathematik. Die richtige Balance hängt von vielen Faktoren ab – und von dem Blickwinkel, aus dem man sie betrachtet. Sie ist auch dem Zeitgeist unterworfen. Vor 30 Jahren galt vielen der Staat noch als Leviathan, der seinen Bürgern zu viel wegnehmen möchte. Der internationale Steuerwettbewerb, der an Fahrt aufgenommen hatte, wurde meist euphorisch begrüßt. Heute wiederum liegt der Fokus viel stärker auf Verteilungsgerechtigkeit. So gibt es derzeit unter den Ökonomen viele Befürworter einer Vermögenssteuer. Vor 30 Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.

Im Sonderforschungsbereich beschäftigen wir uns ganz bewusst mit Fragestellungen, die das konkrete Leben betreffen – und wichtige Erkenntnisse für Politik und Praxis liefern können.

Einen Beitrag leisten

Wichtig bei meiner Forschung ist mir, dass sie nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für Unternehmen, für Bürger und vor allem für die Steuerpolitik einen Beitrag leistet. Genau das schätze ich auch am TRR 266. Im Sonderforschungsbereich beschäftigen wir uns ganz bewusst mit Fragestellungen, die das konkrete Leben betreffen – und wichtige Erkenntnisse für Politik und Praxis liefern können. Aus diesem Grund wählen wir neben Publikationen in angesehenen wissenschaftlichen Zeitschriften auch Formate, die unsere Forschung einer breiteren Öffentlichkeit verständlich erklären und zugänglich machen können – wie Blogbeiträge oder interaktive Grafiken. Mit unserer Open Science Initiative wiederum möchten wir unsere Forschung transparent machen und dazu beitragen, dass jeder daran teilhaben, mitarbeiten und einen Beitrag leisten kann. Solche innovativen Ansätze schätze ich sehr. All das als Einzelperson zu bewerkstelligen, ist unmöglich. Es braucht Gleichgesinnte, um ein gewisses Momentum zu schaffen und langfristig etwas zu bewegen. Und genau das kann der TRR 266 leisten.

Wir möchten herausfinden, inwieweit Eigentümer von Unternehmen und Manager die Steuerbelastung falsch einschätzen.

Steuerliche Fehlwahrnehmungen und ihre Ursachen

Im TRR 266 habe ich außerdem die Möglichkeit, mit hochrangigen Forschenden aus ganz Deutschland zusammenzuarbeiten – aus unterschiedlichen Bereichen des Accounting und mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Auf diese Weise kann ich bestimmte Forschungsfragen adressieren, die ich alleine nicht bewältigen könnte. Für unser Projekt B08 ist zum Beispiel das German Business Panel besonders wichtig. Es wird eine Fülle an Unternehmensdaten liefern und damit eine einzigartige Datengrundlage für die empirische Unternehmensforschung bieten. Damit stellt es auch die perfekte Basis für unsere Forschung im Bereich der unternehmerischen Fehlwahrnehmung von Steuern dar. Denn wir möchten herausfinden, inwieweit Eigentümer von Unternehmen und Manager die Steuerbelastung falsch einschätzen. Wir interessieren uns aber auch für Fehlwahrnehmungen von Privatpersonen, Regulierern, Lobbyisten und Politikern. Wir möchten ermitteln, wie gravierend diese Fehlwahrnehmungen sind und welche Ursachen dahinterstehen. Spielt es beispielsweise eine Rolle, wie alt eine Person ist, wie hoch ihr Einkommen ist oder welche politische Anschauungen sie vertritt? Wir hoffen, aus diesen Erkenntnissen ableiten zu können, wie und in welcher Form Steuerpflichtige informiert werden müssen, um ein Gespür für die reale Steuerlast zu entwickeln – für die eigene und für die anderer.

Welche Auswirkungen steuerliche Fehlwahrnehmungen im Einzelnen haben, werden wir im Projekt B08 näher untersuchen.

Auswirkungen von steuerlichen Fehlwahrnehmungen

Uns ist es wichtig, die Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren. Denn Fehlwahrnehmungen können Entscheidungen verzerren und Steuerwirkungen herbeiführen, die nicht intendiert waren. Wenn ich beispielsweise fälschlicherweise davon ausgehe, dass Topverdiener zu wenig Steuern zahlen, wähle ich eher eine Partei, die auf Umverteilung setzt, auch wenn mir andere Inhalte des Parteiprogramms möglicherweise gar nicht zusagen.  Unternehmen wiederum, die ihre Steuerlast im Vergleich zu ausländischen Wettbewerbern unterschätzen, könnten auf die Idee kommen, ihre Steuerlast zu senken, indem sie verstärkt Fremdkapital aufnehmen. Denn Fremdkapital ist steuerlich gesehen günstiger als Eigenkapital. Mit einer geringeren Eigenkapitalbasis ist das Unternehmen jedoch in Krisenzeiten wesentlich anfälliger. Welche Auswirkungen steuerliche Fehlwahrnehmungen im Einzelnen haben, werden wir im Projekt B08 näher untersuchen.

Die Ergebnisse einer unserer Umfragen zeigen, dass die Befragten Probleme haben, die Progression der deutschen Einkommensteuer zu verstehen.

Progressive Steuern: verstehen oder nicht verstehen

Aus unserer Forschung konnten wir bereits erste wirklich spannende Erkenntnisse ziehen – beispielsweise zu Fehlwahrnehmungen der Einkommenssteuerbelastung. Die Ergebnisse einer unserer Umfragen zeigen, dass die Befragten Probleme haben, die Progression der deutschen Einkommensteuer zu verstehen. Wenn die Befragten die Einkommenssteuerbelastung für unterschiedliche Bruttogehälter (10.000 €, 35.000 €, 100.000 € und 500.000 €) angeben müssen, erkennen sie, dass die Einkommensteuer progressiv ist. Jedoch unterschätzen sie das Ausmaß an Progressivität, indem sie die Steuerbelastung niedriger Einkommen über- und die Steuerbelastung hoher Einkommen unterschätzen.

Fragt man dagegen nach aggregierten Werten, zeigt sich, dass die Befragten nicht verstehen, was progressive Besteuerung bedeutet. Während der Anteil der Top 10 % der Einkommensbezieher am gesamten in Deutschland erzielten Einkommen noch zutreffend geschätzt wird, wird der Anteil dieser Bevölkerungsgruppe am Einkommensteueraufkommen dramatisch unterschätzt. Dieser beträgt rund 57 %, was verglichen mit dem Anteil am Einkommen von 38% zeigt, dass die Einkommensteuer stark progressiv ist. Dagegen schätzen die Befragten den Anteil der Top 10%-Einkommensbezieher am Einkommensteueraufkommen auf lediglich etwas über 30 %. Die Befragten verstehen also gar nicht, dass wir eine progressive Einkommensteuer haben. Sie unterstellen sogar eine regressive Steuer, bei der Topverdiener prozentual weniger Steuern zahlen als Geringverdiener.

Wir planen beispielsweise eine größere Befragung zur Erbschaftssteuer sowie eine Befragung in den Finanzministerien.

Datenschätze heben

Zu den oben genannten Umfrageergebnissen bereiten wir derzeit einen Vortrag vor, den wir auf der virtuellen TRR 266 Mini Conference „Taxation: Transparency, Complexity, Misperception, and Real Effects“ am 29. April 2021 halten werden. Außerdem sind Folgebefragung geplant, mit denen wir herausfinden möchten, worauf diese teilweise massiven Fehlwahrnehmungen zurückzuführen sind und inwieweit Informationen Fehlwahrnehmungen reduzieren. Darin befragen wir die Leute beispielweise zusätzlich nach ihren parteipolitischen Präferenzen und nach ihren Fairnessvorstellungen. Ergebnisse weiterer Befragungen bieten noch einen Datenschatz, den wir noch auswerten müssen. So wird eine Befragung zur Grenzsteuerbelastung, die vor Kurzem abgeschlossen wurde, gerade ausgewertet. Andere Befragungen werden zurzeit noch konzipiert. Wir planen beispielsweise eine größere Befragung zur Erbschaftssteuer sowie eine Befragung in den Finanzministerien, mit der wir herausfinden möchten, ob auch Menschen, die in der Finanzpolitik tätig sind, die tatsächliche Steuerlast mitunter falsch einschätzen.


 

Die im Beitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung des Forschenden wieder und entsprechen nicht grundsätzlich der Meinung des TRR 266. Als Wissenschaftsverbund ist der TRR 266 sowohl der Meinungsfreiheit als auch der politischen Neutralität verpflichtet.  

Researcher of the Month März

Beteiligte Institutionen

Die Hauptstandorte vom TRR 266 sind die Universität Paderborn (Sprecherhochschule), die HU Berlin und die Universität Mannheim. Alle drei Standorte sind seit vielen Jahren Zentren für Rechnungswesen- und Steuerforschung. Hinzu kommen Wissenschaftler der LMU München, der Frankfurt School of Finance and Management, der Goethe-Universität Frankfurt, der Universität zu Köln und der Leibniz Universität Hannover, die die gleiche Forschungsagenda verfolgen.

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