Februar 2022: Prof. Dr. Deborah Schanz

Deborah Schanz, Professorin für Betriebswirtschaft an der LMU München, leitet zusammen mit Caren Sureth-Sloane und Johannes Voget das Projekt A05 “Accounting for Tax Complexity“. Gemeinsam untersuchen sie, wie sich steuerliche Komplexität auf die Transparenz von Steuern, auf Steuer-Compliance und das Investitionsverhalten auswirkt. Ein intensiver Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis ist ihr dabei sehr wichtig. Zuletzt hat sie, zusammen mit den TRR 266-Forschern Simon Harst und Felix Siegel sowie mit Prof. Dr. Joachim Englisch und Cedric Döllefeld, der OECD einen Vorschlag zur Vereinfachung der globalen Steuerreform vorgelegt.

 

Steuerforschung: zwischen Wissenschaft und Praxis

Die Steuerforschung ist ein unheimlich faszinierendes Feld mit vielen Facetten. Sie ist zahlengetrieben, erlaubt gleichzeitig aber auch eine intensive Auseinandersetzung mit (Gesetzes)Text. Und vor allem ist sie nah am Menschen. Denn es sind Menschen, die entscheiden, wie Steuern ausgestaltet werden – und die von diesen Entscheidungen und ihren Auswirkungen betroffen sind. Die Steuerforschung ist also letztlich ein angewandtes Fach mit großem Praxisbezug und sollte daher nicht isoliert im Elfenbeinturm verharren. Das war mir schon immer wichtig. Deshalb bediene ich auch gerne die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis. Ich bin regelmäßig im Austausch mit Politik, Unternehmen, Regulierern und Richterschaft. Denn unsere Forschungsergebnisse können ihnen dabei helfen, informierte Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig liefert die Praxis die relevanten Fragestellungen. Forschung, die etwas bewegt, entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern fragt danach, wo der Schuh drückt.

Ich finde es wichtig, den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis aktiv zu fördern.

Forum 2022: eine Plattform für den Austausch

Deshalb finde ich es auch so wichtig, den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis aktiv zu fördern. Und genau das tun wir im TRR 266. Bei unserem Forum am 19. Mai an der ESMT Berlin beispielsweise dreht sich alles darum. Zusammen mit der Schmalenbach-Gesellschaft geben wir Wissenschaftlern, Unternehmensvertretern, Politikern und Regulierern eine Plattform, um über Berichterstattung, Besteuerung, Controlling und Unternehmenstransparenz zu diskutieren. Über Herausforderungen und Lösungswege. Eine super Chance für die Praxis, auf Probleme hinzuweisen, die sie akut beschäftigt, – und evidenzbasierte Handlungsempfehlungen zu erhalten. Wir wiederum hoffen auf wichtige Impulse für unsere Forschung. Und darauf, dass unsere Forschungsergebnisse auf diesem Wege Eingang in aktuelle politische Prozesse erhalten – und als wichtige Entscheidungsgrundlage dienen können.

Steuerkomplexität ist ein Thema, das direkt aus der Praxis stammt.

Tax Complexity Index: die Antwort auf ein drängendes Problem

In meinem TRR 266-Projekt A05 beschäftige ich mich mit Steuerkomplexität. Und das ist tatsächlich ein Thema, das direkt aus der Praxis stammt. Initialzündung für dieses Projekt war eine Beobachtung, die wir zunehmend auf Tagungen gemacht haben. Praktiker sprachen dort immer wieder über eine nicht handhabbare steuerliche Komplexität. Die Beschwerden häuften sich, doch wissenschaftlich hatte sich dem Thema noch niemand angenommen. Es fehlte ein Maß, das dieses subjektive Empfinden überprüfen, das steuerliche Komplexität erfassen und messbar machen konnte. Daher beschloss ich zusammen mit Caren Sureth-Sloane ein solches Maß zu entwickeln. Und so entstand der Tax Complexity Index (TCI). Der TCI misst die Komplexität des Körperschaftssteuersystems, der multinationale Unternehmen ausgesetzt sind, in derzeit 110 Ländern – und macht steuerliche Komplexität damit auch international vergleichbar. Der Index erfasst dabei zum einen die Komplexität, die den verschiedenen Steuervorschriften innenwohnt, zum anderen die Komplexität, die aus den steuerlichen Rahmenbedingungen resultiert.

Zum TCI bekommen wir immer wieder Feedback aus der Praxis. Viele teilen uns mit, dass sich unsere Daten mit ihren Erfahrungen decken und dass diese Daten für sie sehr wertvoll sind.

Wertvolle Daten für die Praxis

Zum TCI bekommen wir immer wieder Feedback aus der Praxis. Viele teilen uns mit, dass sich unsere Daten mit ihren Erfahrungen decken und dass diese Daten für sie sehr wertvoll sind. Steuerberater berichten uns davon, dass sie die Indexwerte für Beratungsgespräche mit ihren Mandaten nutzen, Regulierer, dass sie unsere Daten bei der Entscheidungsfindung mitberücksichtigen. Das ist eine wirklich schöne Bestätigung für unsere Forschung. Allein die Indexwerte sind bereits für viele Nutzer interessant. Darüber hinaus machen wir natürlich auch weiterführende Analysen auf Basis dieser Daten und untersuchen beispielsweise die Komplexitätstreiber in den unterschiedlichen Ländern. Daraus können Politiker und Regulierer konkrete Verbesserungen ableiten. Insbesondere durch die Möglichkeit zum Ländervergleich: Was machen andere Länder besser? Welche Prozesse und Gesetze sollten überarbeitet werden? Außerdem untersuchen wir auch, welche Auswirkungen steuerliche Komplexität hat. In einer neuen Studie, an der wir gerade arbeiten, zeigen wir, dass Steuerkomplexität einen Einfluss darauf hat, ob Unternehmen in Ländern investieren.

Wegen dieser großen Relevanz für unterschiedliche Zielgruppen haben wir uns dazu entschieden, die Daten frei für jeden zugänglich zu machen.

Neue Daten: Steuerkomplexität wächst weltweit

Nicht zuletzt wegen dieser großen Relevanz für unterschiedliche Zielgruppen haben wir uns dazu entschieden, die Daten frei für jeden zugänglich zu machen. Und sie so aufzubereiten, dass auch Nicht-Wissenschaftler sie verstehen und mit ihnen arbeiten können. Unsere interaktive Website ermöglicht es, die steuerliche Komplexität bestimmter Länder und die Komplexitätsunterschiede zwischen den Ländern mit einem Blick zu erfassen – über eine Weltkarteansicht und Farbkodierungen. Gleichzeitig ist es möglich, bei Interesse immer mehr ins Detail zu gehen: sich etwa die Entwicklung der Steuerkomplexität im Zeitverlauf oder unterschiedliche Steuerregelungen anzeigen zu lassen. Unsere aktuellsten Zahlen aus 2020 sind bereits online. Die neuen Daten zeigen, dass die steuerliche Komplexität für den Großteil der Länder seit 2018 erneut gestiegen ist. Steuerkomplexität wird also zu einem immer drängenderen Problem. Größter Komplexitätstreiber sind erneut die Verrechnungspreise, die bei grenzüberschreitenden Geschäften innerhalb von Konzernen notwendig sind. Aber auch Gesetzgebungsprozesse werden in 80 Prozent der Länder als großes Problem wahrgenommen. Schlecht konzipierte Entwürfe und eine übermäßig komplizierte Sprache erschweren für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen die Anwendung des Steuerrechts.

Wir gehören zu den Wissenschaftler*innen, die von der OECD damit beauftragt wurden, […]  konkrete Vorschläge [für eine Vereinfachung der globalen Steuerreform] auszuarbeiten.

Steuerreform der OECD: Vorschläge für Vereinfachungen

Eine neue Steuerreform, die die steuerliche Komplexität noch einmal enorm steigern könnte, ist die globale Steuerreform der OECD. Sie ersetzt die bestehenden Steuersysteme der einzelnen Länder nicht, sondern fügt ihnen noch eine weitere Schicht hinzu. Zwar ist diese Steuerreform ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Steuervermeidung, allerdings wird sie mit Blick auf den hohen Aufwand und die Kosten, die sie mit sich bringt, stark kritisiert. Aus diesem Grund hat die OECD mit den beteiligten Ländern grobe Ideen ausgearbeitet, wie beispielsweise die Umsetzung der globalen Mindeststeuer erleichtert werden kann. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir diesen Prozess aktiv begleiten dürfen. Denn wir gehören zu den Wissenschaftler*innen, die von der OECD damit beauftragt wurden, diese Ideen zu prüfen und konkrete Vorschläge auszuarbeiten. Wir, das sind meine Doktoranden Simon Harst, Felix Siegel und ich sowie Prof. Dr. Joachim Englisch und Cedric Döllefeld vom Institut für Steuerrecht der WWU Münster. Unseren Vorschlag für ein Verfahren, das die Meldepflichten und Compliance-Kosten für multinationale Unternehmen verringert, haben wir bereits dem zuständigen OECD-Sekretariat vorgestellt. Nun muss die Umsetzung dieser Vereinfachungen noch von den Ländern beschlossen werden.

Generell finde ich, dass wir Forschenden uns mehr in die Welt hinaustrauen und uns mit unserem Know-how und den Erkenntnissen unserer Forschung einbringen sollten.

Wissenschaftskommunikation: die Menschen erreichen

Es ist natürlich toll, wenn man als Forscherin so einen wertvollen Beitrag leisten darf. Eine wichtige Aufgabe, die ich immer wieder gerne übernehme. Zuletzt war ich als Expertin im Finanzausschuss des Bundestages zum Thema Steueroasenabwehrgesetz eingeladen und habe zusammen mit Isabell Euler und Karoline Maier einen Beitrag dazu vorgelegt. Generell finde ich, dass wir Forschenden uns mehr in die Welt hinaustrauen und uns mit unserem Know-how und den Erkenntnissen unserer Forschung einbringen sollten. In politische Debatten und den öffentlichen Diskurs. Im Gespräch mit Politikern, Unternehmensvertretern und der Presse. Auch wenn wir dafür häufig unsere Komfortzone verlassen müssen. Etwa weil wir unsere Forschungsergebnisse stark vereinfachen müssen – unsere wissenschaftlichen Prinzipien dabei aber nicht verraten dürfen. Ein Spagat, der nicht einfach ist – der sich aber lohnt. Für eine gute Wissenschaftskommunikation, die etwas bewegt, weil sie die Menschen erreicht.

 

*Die im Beitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung des Forschenden wieder und entsprechen nicht grundsätzlich der Meinung des TRR 266. Als Wissenschaftsverbund ist der TRR 266 sowohl der Meinungsfreiheit als auch der politischen Neutralität verpflichtet.

**In diesem Beitrag wird ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit teilweise auf die geschlechtsspezifische Schreibweise verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

 

Deborah Schanz im Interview:

Researcher of the Month Dezember

Beteiligte Institutionen

Die Hauptstandorte vom TRR 266 sind die Universität Paderborn (Sprecherhochschule), die HU Berlin und die Universität Mannheim. Alle drei Standorte sind seit vielen Jahren Zentren für Rechnungswesen- und Steuerforschung. Hinzu kommen Wissenschaftler der LMU München, der Frankfurt School of Finance and Management, der Goethe-Universität Frankfurt, der Universität zu Köln und der Leibniz Universität Hannover, die die gleiche Forschungsagenda verfolgen.

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