Skispringen – Lektion 1: mehr Transparenz, gerechtere Leistungsbewertung

Von der Schanze ins Unternehmen: TRR 266-Forscher Christian Hofmann zeigt in einer neuen Studie, zusammen mit Jan Bouwens und Christopher Lechner, dass Kampfrichter Skispringer aus dem eigenen Land besser bewerten – und stellt heraus, wie sich diese Erkenntnisse auch für Unternehmen nutzen lassen. Dabei gilt: Mehr Transparenz in subjektiven Bewertungsprozessen führt zu gerechteren und damit besseren Entscheidungen.

 

Aufregung bei der Vierschanzentournee in Garmisch-Partenkirchen! Bei Markus Eisenbichler wackelt es gehörig – erst in der Luft und dann auch bei der Landung. Trotzdem hagelt es Bestnoten für den deutschen Skispringer. Mit einem winzigen 0,2-Punkteabstand zum Führenden rückt er so auf den 2. Platz vor. Großer Aufschrei beim norwegischen Team! Immerhin erhielt der Deutsche seine höchste Punktzahl (18,5 Punkte) ausgerechnet vom deutschen Kampfrichter. Der Vorwurf: Der Kampfrichter habe seinen Landsmann bevorzugt. Kein Einzelfall im Skispringen. Das belegen wir nun in einer neuen Studie, die uns als Blaupause für subjektive Bewertungsprozesse in Unternehmen dient.

In unserer Studie untersuchen wir die subjektiven Bewertungen von internationalen Kampfrichtern im professionellen Skispringen zwischen 2017 und 2021– und finden: Im Schnitt bewerten Kampfrichter Athleten aus ihrem eigenen Land um 0,1 Punkte besser. Auch wenn die höchste und niedrigste Bewertung beim Skispringen traditionell gestrichen werden, kann eine solche Bevorzugung die Platzierungen beeinflussen. Denn: Auch die anderen Jurymitglieder geben einem Athleten höhere Punkte, wenn dessen Landsmann Mitglied der Jury ist. Insgesamt ergibt sich so eine durchschnittliche Verzerrung von 0,25 Punkten. Knapp 15 Prozent der Platzierungen könnten sich dadurch ändern. Durch Corona hat sich die Situation noch einmal verschärft. Ohne die physische Anwesenheit des Publikums fehlt eine Kontrollinstanz. Eine mögliche Lösung: mehr Kampfrichter. Eine Jury, die die Nationalitäten aller Skispringer repräsentiert, würde die Bevorzugung einzelner Athleten aufgrund ihrer Nationalität ausgleichen.

 

Der Sprung ins Unternehmen

Diese Ergebnisse können nicht nur dem sportlichen Umfeld Impulse geben, Wettkämpfe fairer zu gestalten: Der untersuchte Kontext weist aufgrund seiner institutionellen Merkmale einige Parallelen zu Unternehmen auf. Aus unseren Ergebnissen lassen sich zentrale Schlüsse ableiten, die Unternehmen dabei helfen können, Prozesse und Praktiken zur Beurteilung von Mitarbeitenden, Projekten oder Investitionen fairer zu gestalten. Etwa in Ernennungs- und Beförderungsausschüssen oder in Innovations- und Kosteneinsparungswettbewerben. Und das ist wichtig. Denn systematische Verzerrungen bei subjektiven Leistungsbewertungen können sich nachteilig auswirken – etwa auf die Motivation der Mitarbeitenden oder die Fluktuation im Unternehmen.

Dass wir Sportdaten nutzen, um Fragen aus dem Accounting zu beantworten, mag zunächst ungewöhnlich erscheinen. Dabei ist dieser Ansatz im Bereich der Ökonomie schon länger etabliert und wird auch in der Accounting-Forschung zunehmend verwendet. Uns hilft der Ansatz dabei, massive Datenbeschränkungen im Unternehmensumfeld zu umgehen. Unternehmensinterne Mitarbeiterdaten sind kaum zugänglich und meist dem Datenschutz unterworfen. Das Skisprung-Setting kann Abhilfe schaffen: Es bietet ähnliche Rahmenbedingungen und eine optimale Datenverfügbarkeit. Eine gute Basis, um daraus Schlussfolgerungen für Unternehmen zu ziehen.

 

a) Datenverfügbarkeit: Skispringen vs. Unternehmenskontext

 

b) Unterschiede und Parallelen

 

Mehr Transparenz, gerechtere Entscheidungen

Was für das Skispringen gilt, gilt auch für Unternehmen: Mehr Transparenz im Bewertungsprozess – durch die physische Anwesenheit eines „Stakeholders“ – ist ein wichtiger Hebel für gerechtere Leistungsbewertungen. Entscheidungsprozesse in Ausschüssen könnten beispielsweise davon profitieren, wenn Vertreter verschiedener Stakeholdergruppen in diesen Ausschüssen physisch präsent wären. Selbst wenn diese Vertreter kein Stimmrecht bei der endgültigen Entscheidung haben, so kann ihre Anwesenheit während des Entscheidungsprozesses zu einer objektiveren Bewertung beitragen. Bei Innovations- und Kosteneinsparungswettbewerben könnte es aus dem gleichen Grund ratsam sein, die endgültige Präsentation der Mitarbeiterideen vor der gesamten Belegschaft stattfinden zu lassen.

Abschließend gilt für weniger verzerrte Bewertungen: besser physisch statt virtuell. In Pandemie-Zeiten finden beispielsweise Jahreshauptversammlungen verstärkt virtuell statt. Während das sicherlich die Ausbreitung des Virus eindämmt, erhöht es die Wahrscheinlichkeit für verzerrte Darstellungen. Die physische Anwesenheit von Aktionären, aber auch von anderen Stakeholdern wie Mitarbeitern, Wirtschaftsprüfern oder der Presse erhöht die (gefühlte) Transparenz. Diese erhöhte Transparenz kann dazu beitragen, dass die Lage und die Aussichten des Unternehmens weniger verzerrt berichtet werden.

 

*In diesem Beitrag wird ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit auf die geschlechtsspezifische Schreibweise verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

 

Zitation des Blogs:

Bouwens, J., Hofmann, C., Lechner, C. (2022, Februar 10). Skispringen – Lektion 1: mehr Transparenz, gerechtere Leistungsbewertung, TRR 266 Accounting for Transparency Blog. https://www.accounting-for-transparency.de/de/blog/skispringen-lektion-1-mehr-transparenz-gerechtere-leistungsbewertung/

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Wie jede wissenschaftlich Studie weist auch unsere Limitationen auf: Eine Korrelation zwischen der Nationalität der Jurymitglieder und der relativen Qualität der Sportler aus demselben Land, die über das hinausgeht, was die Kontrollvariablen erfassen, würde unsere Schlussfolgerungen einschränken. Darüber hinaus weist der Profisport und damit auch das Skispringen einige Besonderheiten auf, die bei einer Generalisierbarkeit unserer Ergebnisse zu beachten sind. Insgesamt liegt unser Hauptaugenmerk allerdings auf den subjektiven Bewertungen der Jurymitglieder und nicht auf den Handlungen der Athleten selbst. Diese Jurymitglieder haben die allgemeine Aufgabe eine erbrachte Leistung subjektiv zu bewerten. Solche subjektiven Leistungsbewertungen sind ein zentraler Bestandteil in nahezu allen Unternehmen.

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