Wie wirkt der Klimawandel auf Arbeitsplätze, Innovationen und die Risikoverteilung auf den Kapitalmärkten?

Was bedeutet der Klimawandel für Unternehmen und Weltwirtschaft? Wie gelingt die Netto-Null-Umstellung? Und wie können grüne Technologien und Patente gefördert werden? Bei der Beantwortung dieser und weiterer Fragen könnte eine neue Methode helfen, die die Exposition von Unternehmen gegenüber dem Klimawandel mithilfe von „Earnings Calls“ misst und so Vorhersagen  darüber erlaubt, wie der Klimawandel auf Arbeitsplätze, Innovationen und die Risikoverteilung auf den Kapitalmärkten wirkt. Entwickelt wurde sie von TRR 266-Forscher Laurence van Lent (Frankfurt School) sowie  Zacharias Sautner (Universität Zürich und Swiss Finance Institute), Grigory Vilkov (Frankfurt School) und TRR 266-Alumnus Ruishen Zhang (Shanghai University). Eine Vielzahl von Studien baut bereits auf der neuen Methode auf.

 

In offiziellen Klimaprognosen berechnen Forschende anhand unterschiedlicher Szenarien, wie sich das Weltklima in Zukunft verändert. Eine Verdoppelung der CO2-Konzentration bis zum Ende dieses Jahrhunderts zum Beispiel könnte die Durchschnittstemperatur auf der Erde um 1,5 bis 4,5 Grad erhöhen. Die Folgen wären verheerend: Naturkatastrophen, steigender Meeresspiegel, sinkende Artenvielfalt. Entwicklungen, die viele Bereiche unseres Lebens nachhaltig verändern würden. Auch die Art und Weise, wie wir Wirtschaft betreiben.

Während solche Prognosen für das Weltklima dank komplexer Rechenmodelle möglich sind, gibt es bislang keine vergleichbaren Modelle, die zuverlässig vorhersagen können, wie der Klimawandel auf Arbeitsplätze, Innovationen und die Risikoverteilung auf den Kapitalmärkten wirkt. Denn das zu messen, ist äußerst schwierig: Die Auswirkungen des Klimawandels sind vielschichtig und betreffen Unternehmen auf unterschiedlichsten Ebenen. Während einige Unternehmen von physischen Klimaveränderungen betroffen sind – wie dem steigenden Meeresspiegel –, müssen andere Kosten tragen, die durch Vorschriften zur Bekämpfung der globalen Erwärmung entstehen, wie etwa die CO2-Steuer. Für wieder andere bietet der Klimawandel wiederum Chancen – für Erzeuger grüner Energien zum Beispiel.

 

Eine wichtige Hilfestellung für Investoren, Regulierungsbehörden und Politik

Ein Modell, das die Auswirkungen des Klimawandels auf Unternehmen zuverlässig messen will, muss diese Unterschiede zwischen den Unternehmen erfassen. Zudem muss es die Schätzungen unterschiedlicher Markteilnehmer berücksichtigen, wie sich der Klimawandel auf die einzelnen Unternehmen auswirkt. Denn die Marktteilnehmer spielen eine wichtige Rolle bei der Ressourcenverteilung und Preisfindung.

Ein solches Modell ist gerade deshalb wichtig, weil es Investoren, Regulierungsbehörden und politischen Entscheidungsträgern hilft, das Risiko des Klimawandels auf Unternehmensebene zu quantifizieren und auf dieser Basis die richtigen Weichen zu stellen. Ein solches Modell ermöglicht es, wichtige Vorhersagen zu treffen. Etwa wie Unternehmen auf die Netto-Null-Umstellung reagieren, wie diese sich auf die Weltwirtschaft auswirkt und wie die Schaffung von grünen Technologien und Patenten gefördert werden kann, damit die Netto-Null-Umstellung bis 2050 gelingt.

 

Neue Methode misst Exposition von Unternehmens gegenüber dem Klimawandel

Aus diesem Grund haben wir auf Basis von vorangegangenen Studien eine neue Methode entwickelt, die die Exposition von Unternehmen gegenüber dem Klimawandel misst, also wie stark ein Unternehmen von Chancen und Risiken durch den Klimawandel betroffen ist. Dafür nutzen wir Earnings Calls, Telefonkonferenzen zwischen der Unternehmensleitung und Finanzanalysten über Finanzergebnisse und die aktuelle und künftige Entwicklung des Unternehmens. Der Vorteil von Earnings Calls? Sie sind weniger anfällig für Greenwashing, da sie nicht nur die Perspektive des Unternehmens, sondern auch die von Analysten wiedergeben. Die Exposition eines Unternehmens bestimmen wir, indem wir den Anteil des Gesprächs der dem Klimawandel gewidmet ist, messen. Das tun wir anhand von sogenannten Bigrammen, also Zwei-Wort-Kombinationen, die auf Klimagespräche hinweisen – wie zum Beispiel das Bigramm „solar energy“.

In anderen Studien werden Bigramme häufig mit Hilfe von vordefinierten Trainingsbibliotheken bestimmt. Das ist im Zusammenhang mit dem Klimawandel allerdings schwierig. Denn in diesem Bereich existiert kein wohldefiniertes Wörterbuch. Die verwendeten Begrifflichkeiten von politischen Entscheidungsträgern, Journalisten und Finanzmarktteilnehmern variieren stark und entwickeln sich ständig weiter. Die Erstellung eines neuen Wörterbuchs von Grund auf ist kompliziert und anfällig für menschliche Fehler. Aus diesem Grund haben wir einen Algorithmus entwickelt, der mithilfe von Maschinellem Lernen, Wortkombinationen identifiziert, die auf Klimagespräche hindeuten.

 

Algorithmus nutzt Maschinelles Lernen um Klimagespräche zu identifizieren

Der Algorithmus erfordert nur zu Beginn eine menschliche Eingabe: Wir haben eine kurze Liste mit Schlüsselbegriffen entwickelt, bei denen die meisten Experten zustimmen würden, dass sie mit dem Klimawandel in Verbindung stehen. Dieser „anfängliche“ Satz von Bigrammen ermöglicht es dem Algorithmus, aus den Transkripten diejenigen Sätze zu identifizieren, die eindeutig über den Klimawandel sprechen.  Auf der Grundlage verschiedener überwachter Lernmethoden kann der Algorithmus dann Bigramme extrahieren, die über die Menge der „anfänglichen“ Bigramme hinausgehen. Der Algroithmus erweitert die anfangs recht allgemein gefassten Bigramme zu spezielleren Wortkombinationen. Aus „solar enegry“ entstehen zum Beispiel die Bigramme “rooftop solar“ und „photovoltaic panel“.

Um die unterschiedlichen Ebenen, auf denen ein Unternehmen vom Klimawandel betroffen sein kann, zu erfassen, haben wir vier unterschiedliche Gruppen von Klimawandel-Bigrammen gebildet: Der erste Satz erfasst Aspekte des Klimawandels im weitesten Sinne. Die übrigen drei Gruppen decken spezifische Klimathemen ab: technologische Chancen sowie physikalische und regulatorische Schocks.  Zusätzlich können wir mit unserer Methode feststellen, ob die berichteten Ereignisse gute oder schlechte Nachrichten für das Unternehmen darstellen. Das ist möglich, indem wir „Stimmungs“-Maße konstruieren, die die relative Häufigkeit von Klimawandel-Bigrammen zählen, die in der Nähe von positiven und negativen Tonwörtern auftreten.

 

Mehr Chancen und regulatorischen Risiken, mehr grüne Jobs und Patente

Die so erzeugten Daten sind für mehr als 10.000 Unternehmen aus 34 Ländern zwischen 2002 und 2020 verfügbar. In unserer Studie zeigen wir, dass wir mit ihnen wichtige Vorhersagen treffen können, die Regulierer, politische Entscheidungsträger und Investoren insbesondere im Rahmen der Netto-Null-Umstellung wichtige Hilfestellung geben können. So kann die Exposition eines Unternehmens gegenüber dem Klimawandel beispielsweise vorhersagen, ob das Unternehmen in grüne Technologien und Patente investiert, zwei Schlüsselfaktoren für den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft. Unternehmen etwa, die mehr regulatorische Risiken und mehr Chancen durch den Klimawandel ausgesetzt sind – schaffen im Folgejahr deutlich mehr Jobs in disruptiven grünen Technologien und melden mehr grüne Patente an.

Die Exposition von Unternehmen gegenüber dem Klimawandel hat zudem Auswirkungen auf den Aktienmarkt – und zwar in Form von erhöhten Risiken und Risikoprämien. Das gilt allgemein für Aktien von Unternehmen, die eine größere Exposition gegenüber dem Klimawandel im Allgemeinen aufweisen und insbesondere für Aktien von Unternehmen mit höheren Chancen durch den Klimawandel. Denn die Unsicherheit im Zusammenhang mit Investitionen in grüne Technologien oder erneuerbare Energien ist groß. Die Verwirklichung dieser Chancen führt zu erheblichen Gewinnen, wenn sie erfolgreich sind, oder zu großen Verlusten, wenn sie nicht erfolgreich sind. Das macht den Schutz vor Crashs und das Aufwärtspotenzial teurer. Anleger sind also bereit zur Absicherung nach unten und für das Wachstumspotenzial nach oben höhere Prämien zu zahlen. Die Kosten für das Aufwärtspotenzial steigen dabei schneller als die Kosten für den Schutz vor einem Absturz, wenn die Chancenexposition einer Aktie höher ist.

 

Out-of-Sample-Evidenz: Vielazhl von Studien nutzt die neue Methode

Unsere Daten wurden bereits in einer Vielzahl von Studien verwendet und dazu genutzt, um eine Reihe von realen und finanziellen Auswirkungen des Klimawandels auf Unternehmen vorherzusagen. Diese „Out-of-Sample-Evidenz“ ist beruhigend, da sie darauf hindeutet, dass unsere Messgrößen aussagekräftige Unterschiede zwischen den Unternehmen erfassen. Auch Regulierungsbehörden haben bereits ihr Interesse an unseren Daten bekundet. Wir haben die Studie zum Beispiel der ESG-Forschungsabteilung der Vanguard Investment Strategy Group vorgestellt. Wir hoffen und sind zuversichtlich, dass wir mit unserer Forschung einen wichtigen Beitrag leisten können – zu einem besseren Verständnis der Auswirkungen des Klimawandels auf Unternehmen und Wirtschaft sowie zu einer effektiven Regulierung im Rahmen der Netto-Null-Umstellung.

 

Zitation des Blogbeitrags:

Van Lent, L. (2023, july 25). How does climate change affect jobs, innovation, and risk-sharing in capital markets?, TRR 266 Accounting for Transparency Blog. https://www.accounting-for-transparency.de/de/wie-wirkt-sich-der-klimawandel-auf-arbeitsplaetze-innovationen-und-die-risikoverteilung-auf-den-kapitalmaerkten-aus/

 

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Die Publikation zum Blogbeitrag:

Datengetriebene Forschung zu Klimarisiken in Unternehmen

Laurence van Lent

Das Verhalten von Unternehmen, Märkten und Verbraucher*innen zu verstehen, ist ein entscheidender Schritt bei der Entwicklung effektiver Maßnahmen, um den negativen Folgen des Klimawandels entgegenzuwirken. Aber um dieses Verhalten zu verstehen, müssen wir es quantifizieren. Leichter gesagt als getan. Eine neue gemeinsame Initiative der Frankfurt School of Finance &…

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